Die Erfindung des Drahtseils

Die Erfindung des Drahtseils

Zusammenfassung
Das Drahtseil ist eine der wichtigsten Erfindungen des Oberharzer Bergbaus. Dieser Beitrag stellt die Hintergründe vor. Lesezeit 3 min

Die Erfindung des Drahtseils

Erzförderung mit schmiedeeisernen Ketten – eine untragbare Last
Um das Erz nach übertage zu fördern, wurden im Oberharz Erztonnen eingesetzt, die an geschmiedeten Eisenketten hingen. Bei geringen Schachttiefen stellte das kein Problem dar, doch eine Eisenkette hat ein nicht zu vernachlässigendes Gewicht: 100 m Kettenseil wiegen um die 500 kg.  Der Schacht der Grube Samson war zu Beginn des 19. Jahrhunderts 600 m tief, dementsprechend lang musste die Förderkette sein. Rein rechnerisch dürfte ihr Eigengewicht also bei ca. 3 t gelegen haben, was 3 Kleinwagen entspricht. Da verwundert es kaum, dass die Ketten oft rissen, weil sie ihr eigenes Gewicht nicht mehr halten konnten. Das bedeutete in der Folge, dass eine 300 kg schwere Erztonne in den Schacht stürzte, dessen Ausbau zerstörte und für die untertage arbeitenden Bergleute zur Lebensgefahr wurde.

Hanfseile – eine teure Alternative
Um die fast wöchentlich auftretenden Kettenrisse zu vermeiden, wurden Hanfseile als Alternative getestet. Diese waren wesentlich leichter; 100 m wiegen um die 200 kg und damit weniger als die Hälfte einer gleich langen Kette. Auch halten sie starkem Zug stand. Jedoch hatten Hanfseile zwei entscheidende Nachteile: Da das Material nicht vor Ort bezogen werden konnte, waren die Anschaffungskosten hoch; gleichzeitig war die Lebensdauer durch die Feuchtigkeit im Schacht kurz. Auch Teeren der Seile brachte keine wesentliche Änderung. Bei einem vergleichsweise trockenen Schacht konnten sie eine Zeit von 2 ½ Jahren genutzt werden, was jedoch selten der Fall war. Demgegenüber standen die geschmiedeten Ketten mit einer Lebensdauer von 5 bis 6 Jahren. Dementsprechend gingen die Überlegungen der Verantwortlichen wieder zurück zu den Ketten und zu der Frage, wie deren Risse vermieden werden könnten.

Viele Ansätze, aber ohne langfristige Erfolge
Ein Ansatz kam von keinem Geringeren als Gottfried Wilhelm Leibnitz, der eine endlos umlaufende Kette vorschlug, an der die Tonnen mit kurzen Ketten befestigt werden sollten. Wegen der schrägen Schächte und wohl auch aus Unverständnis der damaligen Bergbeamten wurde seine Idee jedoch abgelehnt.
Eine weitere, erfolgreich umgesetzte Methode war die Förderung in 2 Etappen: Das Erz wurde zuerst untertage bis auf eine gewisse Ebene gehoben, was zum Teil ein zweites Wasserrad notwendig machte. Anschließend wurde das abgebaute Material durch einen Gang untertage zum zweiten Schacht transportiert, wo es dann bis an die Tagesoberfläche gefördert wurde. Da diese Praxis sehr aufwendig war, bot auch sie keine dauerhafte Lösung.

Eine neue Eisenproduktion ebnet den Weg für das Drahtseil
Eine Änderung in der Eisenkettenherstellung sollte sich langfristig auf die weitere Fördertechnik auswirken: Statt die einzelnen Glieder wie bisher aus geschmiedeten Eisenstäben zu formen, wurden sie ab Ende des 18. Jahrhunderts aus Drähten hergestellt; also Eisen, das in eine zylindrische Form gezogen wurde. Daraus gefertigte Ketten erhielten den Namen „Drahtseil“, waren jedoch noch nicht das im Titel genannte Produkt. Gleichzeitig wurden die Kettenglieder zum unteren Ende der Kette hin dünner, um das Gesamtgewicht zu reduzieren. Zwar brachten diese Innovationen noch keinen entscheidenden Durchbruch, doch die neue Drahtherstellung legte den Grundstein für die Entwicklung des Drahtseils.

Der entscheidende Durchbruch – geflochtene Drähte statt einzelner Glieder
Wilhelm August Julius Albert, Oberbergrat in Clausthal, war auf Grund seiner Position mit den Förderproblemen durch die Ketten vertraut und arbeitete intensiv an einer Verbesserung. Anfang des Jahres 1834 hatte er schließlich die entscheidende Idee. Statt der Ketten mit einzelnen Gliedern setzte er mehrere ineinander verflochtene Drähte ein. Einzelne Drähte wurden dabei zu sogenannten Litzen und mehrere dieser Litzen dann zu Seilen geflochten – fertig war das Drahtseil. Der entscheidende Vorteil: Während bei einer geschmiedeten Kette jedes einzelne Glied die komplette Last trägt, verteilt sich die Last beim Drahtseil auf die einzelnen Drähte. Dementsprechend führt der Bruch eines einzigen Kettengliedes zum Riss der gesamten Kette; reißt beim Drahtseil ein einzelner Draht, hält das Seil trotzdem noch. Ein entscheidender Sicherheitsaspekt. Außerdem wiegen Drahtseile nur einen Bruchteil der Ketten, rissen wesentlich seltener und führten deshalb zu einer starken Kostenersparnis.

Das Drahtseil feiert seinen europäischen Siegeszug
All diese weitreichenden Vorteile führten zur baldigen Verbreitung des Drahtseils – nicht nur im Oberharz. Denn statt sich seine Erfindung patentieren, also rechtlich schützen zu lassen und als wirtschaftlichen Vorteil zu nutzen, war Albert an der Weitergabe seiner Erfindung sehr gelegen. Er empfing Gäste aus anderen Bergbauregionen, um das Drahtseil zu demonstrieren und ließ Proben verschicken. Diesem Umstand war es zu verdanken, dass sich das Drahtseil innerhalb weniger Jahre in die Bergbauregionen des Ruhrgebietes, Sachsens, Thüringens, Schwedens und Norwegens, Russlands, Österreich-Ungarns, Englands und der Slowakei ausbreitete. Dort wurde es bald selbst hergestellt und zum Teil modifiziert, sodass sich ein eigener Industriezweig herausbildete. Bereits ab Mitte der 1860er Jahre wurde Gussstahl als Ausgangsrohstoff verwendet, da dieser leichter, kostengünstiger und tragfähiger war. Wir sehen: Der Siegeszug des Drahtseils war nicht mehr aufzuhalten.

Das Drahtseil in der Gegenwart
Und heutzutage? Ist es aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken: Ob an Brücken, Aufzügen, Lift- und Seilbahnanlagen oder nach wie vor in der Rohstoffförderung, das Stahlseil findet universelle Anwendung. Obwohl in jüngster Vergangenheit Versuche mit anderen Materialien, wie z.B. Kunststoffen, unternommen wurden, hat sich Oberbergrat Alberts Erfindung bis heute gehalten.
Mit seinem universalen, globalen und mittlerweile fast 200 Jahre währenden erfolgreichen Einsatz ist das Drahtseil ein weiteres gutes Beispiel für eine nachhaltige Idee. Aus der Lösung für ein akutes aktuelles Problem einer Industriebranche wurde eine Innovation, die Wirtschaft und Alltag langfristig prägen sollte. Auch heute haben wir drängende Probleme, die nachhaltige Antworten benötigen. Lassen wir uns also inspirieren vom Geist Wilhelm August Julius Alberts und gestalten die Zukunft.
 

Weiterführende Literatur:

Lampe, Wolfgang und Langefeld, Oliver (Hrsg): „Es kiht su racht hibsch!“, 175 Jahre Drahtseil, Vorträge aus dem Kolloquium am 22. Juli 2009 in Clausthal-Zellerfeld, Clausthal-Zellerfeld 2010.
 

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