St. Andreasberger Wasserwirtschaft - Teil 4

St. Andreasberger Wasserwirtschaft - Teil 4

Das Rehberger Grabenhaus

Ein Haus für den Grabenwärter
Ob nach einer Wanderung entlang des Rehberger Grabens, auf der „Jagd“ nach einem Stempel der Harzer Wandernadel, zur Wildtierfütterung im Winter oder weil es nur einen Kilometer bequemen Fußmarsches vom nächsten Parkplatz entfernt und doch mitten im Nationalpark Harz liegt – es gibt viele Gründe, dem Rehberger Grabenhaus einen Besuch abzustatten und sich dort bewirten zu lassen. Der doch recht große, zweistöckige Bau lässt vermuten, dass es sich dabei schon immer um eine Waldgaststätte gehandelt hat. Doch weit gefehlt: Sein ursprünglicher Zweck war Materiallager und Notunterkunft für den Grabenwärter. Diesen Beruf gibt es übrigens noch heute. Er war und ist dafür zuständig, den Rehberger Graben zu warten, von Gestrüpp und angeschwemmten Material freizuhalten, den Wasserstand zu kontrollieren und bei Starkregenereignissen ein Überlaufen des Grabens zu verhindern, indem Wasser den Hang hinunter zur Oder abgelassen, „fehlgeschlagen“ in Bergmannssprache, wird.

Der Graben ist weiterhin in Funktion
Diese Wartungsaufgabe muss täglich durchgeführt werden – heute selbstverständlich mit dem Pkw, lange Zeit jedoch zu Fuß, egal bei welchem Wetter. Den kompletten Graben einmal abzugehen entspricht einer Wanderung von etwa 8 Kilometern. Damit der Grabenwärter dabei nicht auch noch Werkzeug und Material mittragen musste, wurden in regelmäßigen Abständen kleine Hütten und Häuschen errichtet, in denen eben dieses gelagert und der Grabenwärter sich bei allzu schlechtem Wetter auch einmal unterstellen, notfalls sogar übernachten konnte. Solche schuppenartigen Gebäude standen unter anderem auf dem heutigen Gelände des Internationalen Hauses Sonnenberg oder direkt auf dem Damm des Oderteiches und auch das Rehberger Grabenhaus war anfangs nur ein einfaches, einstöckiges Bauwerk, das 1772 errichtet wurde. Schriftquellen legen nahe, dass bereits in den 1780er Jahren hier eine Gastwirtschaft betrieben wurde. Es war durchaus üblich, den Grabenwärtern ein Ausschankrecht zu erteilen, damit sie sich ein Zubrot verdienen konnten.

Das Grabenhaus entsteht
1796 wütete ein heftiger Stadtbrand in Sankt Andreasberg, bei dem mehr als die Hälfte der 431 Häuser zerstört wurden. Auch der damalige Untergrabensteiger wurde bei dieser Katastrophe obdachlos und so kam es, dass im Rehberger Grabenhaus eine feste Unterkunft für ihn eingerichtet wurde. Seitdem war es bis 1976 durchgängig der Wohnsitz des jeweiligen Grabenwärters. Um aus dem ehemaligen Materiallager eine dauerhafte Wohnung zu machen, wurde das Gebäude einfach um eine Schlafkammer erweitert. Ungefähr 6 Jahre später wurde das nächstgelegene Grabenhaus wegen Baufälligkeit abgerissen und das noch brauchbare Holz (über den sich langsam entwickelnden sparsamen Holzumgang der Bergleute erfahren Sie mehr im Blogeintrag zum Bau des Rehberger Grabens) dazu genutzt, das Rehberger Grabenhaus u.a. um einen Pferdestall zu erweitern.

Umbau und Erweiterung
Alles in allem also immer bescheidene Umbaumaßnahmen, bis es im September 1809 zu einem Großereignis kam, anlässlich dessen dem Gebäude innerhalb von nur 3 Tagen ein Erker aufgesetzt und innerhalb weiterer 8 Tage ein komplett weißer Anstrich verpasst wurde. Was war der Grund für solch einen vergleichsweise unverhältnismäßigen Ausbau und noch dazu in dieser Rekordgeschwindigkeit? Es hatte sich hoher Besuch angekündigt. Wer jetzt an Goethe denkt, liegt nicht ganz falsch. Goethe war mehrfach im Harz, besuchte auch den Samson und natürlich den Rehberger Graben – letzteren allerdings schon 1783 zu geologischen Untersuchungen am heutigen „Goetheplatz“ und hatte es nach seiner Entdeckung dort so eilig, wieder zum Oderteich zurückzukommen, dass er das Rehberger Grabenhaus nicht betrat. Für wen also dieser Aufwand, wenn nicht für den Universalgelehrten und deutschen Dichter schlechthin?

Hoher Besuch wird erwartet
Es handelte sich bei dem Besucher um einen weitaus mächtigeren Mann, einen Herrscher, einen Regenten: Jérôme, König von Westfalen, wollte auf dem Weg vom Brocken zu seiner Residenz nach Kassel im Rehberger Grabenhaus frühstücken. Wenn Sie sich jetzt fragen, warum seine Majestät ausgerechnet auf die Idee kommt, scheinbar außerhalb seines Reiches mitten im Harz in einem Grabenhaus einkehren zu wollen, hier ein kleiner erhellender Einblick in die Geschichte: Anfang des 19. Jahrhunderts wurden weite Teile Deutschlands, auch der Harz, französisch besetzt, von einem kleinen Mann mit großem Namen  - Napoleon. Und dieser erklärte 1807 seinen jüngeren Bruder Jérôme zum König von Westfalen, zu dessen Reich eben auch der Harz zählte.

Napoleon, Kaiser von Frankreich
Das aus den Erzbergwerken des Mittelgebirges gewonnene Silber finanzierte den nicht gerade bescheidenen Lebensstil des Regenten zu einem großen Teil und so ist es weniger verwunderlich, dass der frisch gekürte Landesherr dieser Region einen Besuch abstattete. Den eigenen König in einem einfachen Grabenhaus zu bewirten, das wagten die Bergleute nicht und so wurde in aller Eile ein Erker mit Frühstückssaal erbaut.

Jérôme, König von Westfalen
„Lustik“, wie Jérôme auch genannt wurde, weil eben dieses eines der wenigen deutschen Worte war, die er kannte und deshalb oft benutzte, hat diese Bauleistung wahrscheinlich dennoch nicht gebührend würdigen können: Am Tag seines Besuches regnete es in Strömen und so ist anzunehmen, dass er das Grabenhaus betrat, ohne es eingehend zu betrachten. Aber immerhin verdankt das Gebäude diesem merkwürdigen Ereignis seine heutige Gestalt und einen prominenten Gast – wenn schon nicht Goethe, dann immerhin Napoleons Bruder.

Volker Thale, Ehrengrabensteiger der Harzwasserwerke
Der Erker wurde ursprünglich von Säulen getragen, später dann im unteren Bereich geschlossen, um eine Schlafkammer einzurichten – die letzte größere, wieder ganz pragmatische Veränderung des Gebäudes.
Ab 1976 stand das Haus für zwei Jahre leer, weil der damalige Grabenwärter nicht dort einzog und die Gaststätte bewirtschaftete.  Schließlich wurde sie 1978 von Volker Thale, der es heute mit Ehefrau Margarethe betreibt, übernommen und hat sich seitdem zum eingangs erwähnten beliebten Ausflugsziel bei Sankt Andreasberg entwickelt.

Hier geht es zum Grabenhaus: www.rehberger-grabenhaus.de

Weiterführende Literatur:

Boyke, Hans-Jürgen: Zeichnungen zur Oberharzer Wasserwirtschaft, Clausthal-Zellerfeld 2017

Schmidt, Martin: Das Kulturdenkmal Oberharzer Wasserregal, eines der großartigen Zeugnisse des europäischen Bergbaues vor unserer Haustür. Sonderdruck aus Heimatblätter für den süd.-westl. Harzrand, Heft 47, 1991

Dr. Liessmann, Wilfried: Das Grabenhaus am Rehberger Graben – ein Traditionshaus und seine Geschichte, in: Unser Harz, 60. Jahrgang, Nr. 2/2012Dr.-Ing. Schmidt, Martin: Der Rehberger Graben, Von der Schwierigkeit, kein großes Rohr bauen zu können, in: Sanitär und Heizungstechnik, Zeitschrift für Planung, Berechnung und Ausführung von sanitär-, heizungs- und klimatechnischen Anlagen, Sonderdruck aus Heft 6/95

Schmidt, Martin: Wasserwanderwege, Ein Führer durch das Freilichtmuseum Kulturdenkmal Oberharzer Wasserregal.
 

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